Mittelpunkt Schwäbische Alb

Text: Werner Kirchhoff, Isabel Wodrig
Fotos: ADDI creare-imagos

Erschienen auch bei Motorrad & Reisen im Heft 97.

 

Kurvig vorbei am Juragestein

Oh du wunderschöne Schwäbische Alb. Schon 2017 erkundeten wir deinen Süden. Nun ist deine Mitte, dein Herz, an der Reihe. Nur einen Katzensprung vom „Aparthotel Schwarzwald Panorama“ in Bad Wildbad entfernt, bist du uns dennoch recht fremd. Dies gilt es Stück für Stück zu ändern. Und da du uns
im Süden mit der Zollernalb, vor allem streckentechnisch, nie enttäuscht hast, steht schon vor Reiseantritt
fest: Auch nächstes Jahr werden wir wiederkommen, um uns dann deinem Norden, der Ostalb, zuzuwenden.

Road Book

Münsingen - Mehrstetten - Gundershofen - Magolsheim - Ingstetten - Sontheim - Blaubeuren - Wippingen - Herrlingen - Ulm - Donaustetten - Erbach - Bach - Oberdischingen - Heufelden - Berkach - Munderkingen - Untermarchtal - Lauterach - Sonderbuch - Zwiefalten - Tigerfeld - Hayingen - Münsingen

Endlich heißt es wieder „Leinen los“, wie ich als Segler gerne sage. Was ich damit ausdrücken will? Ganz einfach: Neben dem Gefühl von Freiheit, die das Motorradfahren an sich eh schon mitbringt, sind es für uns vom BASECAMP OSTSEE TOURER vor allem die längeren Touren, raus aus dem Gebiet der typischen kurzen Ausflüge rund um die eigene Haustür, die den Kopf frei und den Alltag fast schon vergessen machen. Erleichtert werden solche, mitunter doch etwas spontanen Touren, von dem heute sehr vielfältigen touristischen Motorradangebot. Das Hotel Herrmann in Münsingen allerdings wurde uns schon auf unserer letzten Tour auf der Schwäbischen Alb empfohlen.
Die Voraussetzungen für unsere Tour sind einwandfrei: Beste Wetterlage ist angekündigt und schon mit Sonnenaufgang erstrahlt der Himmel in schönstem Blau. Am Ende des Tages wird unsere kleine Gruppe, bestehend aus uns drei Motorradfahrern, Werner, Franz und Peter sowie Addi als Fotografen und Anika als Fahrerin des Begleitfahrzeuges, annährend 200 Kilometer gefahren sein – eine schöne angenehme Runde durch das Herz der Schwäbischen Alb. Nach einem reichhaltigen und leckeren Frühstück lädt Franz noch zu seinem obligatorischen kleinen Briefing, welches um fünf vor neun abgehalten wird. Er erklärt kurz, wo es heute hingeht, ich checke nochmal die Liste unserer Redakteurin um möglichst nichts zu übersehen – und wir schaffen es trotzdem, kurz nach 9 Uhr loszurollen.

Mehrstetten und Hasenburren

Unsere Runde beginnt wie geplant in Richtung Ost nach Mehrstetten. Wir werden sie im Uhrzeigersinn fahren, quasi wie ein Oval durch das Herz, also mehr oder weniger exakt die Mitte der Schwäbischen Alb. Kaum losgefahren, entdecken wir bei diesem tollen Wetter natürlich das erste Fahrbildmotiv und halten drauf: Es ist das kleine, direkt an der Straße liegende Backhaus in Mehrstetten. Nur ein paar Kilometer weiter entdeckt Franz linker Hand eine Wasserdurchfahrt und durchkreuzt mit seiner KTM 1090 R den Fluss Schmiech. Mit den K 60 aus dem sächsischen Heidenau erscheint diese Durchfahrt für
ihn wie gemacht und er hat sichtlich viel Spaß beim „Plantschen“.
Unmittelbar danach tun sich vor uns die typisch schroffen Felsvorsprünge auf. Uns ist es sehr wichtig diese Juragesteinsformen, die das typisch felsig-schroffe Bild der Alb ausmachen, im Hintergrund auf unseren Fotos zu wissen. Währenddessen verliebt sich Anika schäfchenstreichelnd in die berühmten „Albschafe“, obwohl sie sich später zum Abendessen nicht mehr daran denkend Lamm bestellen wird. Übrigens: den Albschafen haben wir einen Großteil des Landschaftsbilds der Schwäbischen Alb zu verdanken. Sie fressen Gräser, Kräuter und altes Buschwerk, eben alles außer den Wacholder. Die großen Wacholderheiden sind typisch für die Schwäbische Alb. Auch die Schafe selbst sind hier nicht mehr wegzudenken.

Über Heroldstatt und die Sontheimer Höhle

Jetzt geht es mit Heroldstatt als angestrebtem Ziel voran, wir fahren in Richtung L230 auf von Franz gerouteten Vizinalstrecken. In diesem Fall eine extrem schöne Kurvenstrecke mit vielen Serpentinen. Überhaupt sind wir absolut angetan von der Formation Schwäbische Alb, die uns unentwegt optimale Motorradstrecken bietet. Etwas abseits der Straße kurz vor Heroldstatt, entdecken wir eine Wegkapelle am Streckenrand, die Feldkapelle Hasenburren. Wunderschön einsam gelegen lädt sie zu einer idyllischen Pause ein.
In Sontheim dann wollen wir zur Höhle fahren, aber aufgrund eines Kinderspielplatzes kommen wir mit dem Motorrad nicht bis zu ihr vor. Wir müssten ein ganzes Stück zu Fuß gehen, doch danach steht uns aktuell nicht der Sinn, zumal es ja auf der Alb und insbesondere hier in dieser mittleren Region ohnehin
genug Höhlen gibt. Viele davon sind als Schauhöhlen für Besucher zugänglich. Neben der Sontheimer Höhle sind das unter anderem auch noch die nicht weit entfernte Tiefenhöhle Laichingen, die Wimsener Höhle, die wir heute auch noch anfahren werden, sowie die Nebel- und die Bärenhöhle in Sonnenbühl, die wir bereits auf unserer „Maibaum-Kontrollfahrt“ besucht hatten. Es ist an allen Tagen übrigens extrem viel Blütenstaub in der Luft, sowohl Franz‘ KTM, wie auch meine GS 1200 Rallye und Peters Honda VFR800X sind mit einer dicken gelben Schicht überzogen. Mittlerweile findet sich auch hier unheimlich viel Raps angebaut – manchmal schaut man in die Täler hinunter und die Luft ist geschwängert von gelbem Blütenstaub, der dazu ziemlich in den Augen beißt.

Am Blautopf in Blaubeuren

Nach zwei Stunden ist der erste Pausenstopp der Mannschaft vonnöten. Im Blaubeurener Ortskern unterhalten wir uns in einem Café ganz nett mit den Bedienungen, dies fällt uns auf Schwäbisch ja nicht schwer. Auch hier kommt wieder mal, wie so oft bei anderen Fahrten der OSTSEE TOURER in Süddeutschland, der Kontrast zum Vorschein: Die Leute lesen BASECAMP OSTSEE TOURER auf unseren Fahrzeugen und fragen sich, warum wir dennoch fließend ihren Dialekt sprechen.
Wir erkundigen uns nach dem Weg zur berühmten Aachgasse und fahren über die Gerbergasse direkt dorthin. Von ihrer pittoresken Schönheit sind wir alle vollkommen beeindruckt. Danach geht es zum gar nicht weit entfernt (nur etwa 300 Meter) gelegenen Blautopf. Wir sind von dieser heute bei schönem Wetter in mystischem Türkis leuchtenden Karstquelle alle mehr als begeistert. Wie auch die vielen Touristen, die sich rundherum angesammelt haben. Sogar ich war in meinem Leben noch nie hier vor Ort. Übrigens entspringt hier der Fluss „Blau“, der nach etwas mehr als 20 Kilometern östlich von Blaubeuren, unterhalb von Ulm, in die Donau mündet.
Unglaublich viele Leute sind an diesem Wochenende hierhergekommen. Hunderte Motorräder stehen am Wegesrand, es wimmelt nur so von Autos und Fußgängern. Das danebenliegende Kloster ist ein ebenso anziehender Publikumsmagnet. So haben wir kurz nach 11 Uhr schon so viele Fotos im Kasten, wie wir es sonst nur an einem ganzen Tag schaffen. Wir folgen dem weiteren Streckenverlauf nach Klingenstein zur Brauerei und Kapelle, die etwas schwerer zu finden, aber am Ende dennoch sehr schnell angefahren sind.

Die Schwaben-Metropole Ulm

Von hier aus geht es nach Ulm auf erneut von Franz schön ausgesuchten Nebenstrecken.
In der Stadt verlieren wir erstmals unser Begleitfahrzeug. Weil wir ein bisschen zu weit vorausgefahren sind, haben Addi und Anika nicht gesehen, dass wir abgebogen waren. Doch wir treffen uns glücklich am Münster wieder. Kein Wunder, ist das Münster nicht nur eine der größten evangelischen Kirchen Deutschlands, sondern ist sein Kirchturm mit über 160 Metern Höhe auch der höchste der Welt. Das Münster, das Zeughaus sowie ein paar alte Giebel sind besichtigt und wir begeben uns hinunter in das sehenswerte Gerber- und Fischerviertel. Zuerst einmal verlaufen wir uns hier, finden dann aber ein wunderschönes Lokal direkt am Wasser, das „Restaurant Lochmühle“ an der Großen Blau. Dort sitzen wir direkt am Fluss und bekommen echt schwäbisches Essen, nämlich Maultaschen mit Zwiebelschmelze. Die sehr nette Bedienung ist, wie sich herausstellt, die Tochter des Besitzers. Wir
fragen sie, ob Ulm zur Schwäbischen Alb gehört, worauf sie sich extra noch einmal bei ihrem Vater erkundigt. Natürlich bestätigt sie: Die Stadt zählt zum Alb-Donau-Kreis und erst kurz nach Ulm geht es
die Alb hinauf. Ergo ist Ulm die Metropole schlechthin am östlichen Rand der Schwäbischen Alb. Beim Mittagstisch unterhalten wir uns darüber, dass es erstaunlich ist, dass alle, die dabei sind, so gut mitmachen. Addi grummelt noch ein bisschen, er braucht jetzt unbedingt Cola da ihm als „Nordlicht“ die Hitze von mittlerweile über 30 Grad – und das zu dieser Jahreszeit – zu schaffen macht. Peter nimmt alles ganz gelassen, er ist Mountainbike-Fahrer, macht große Strecken und Touren regelmäßig. Und für
Franz und mich ist es ohnehin klar, dass wir es schaffen, weil „wir müssen ja“. Anika, die Jüngste in der Runde, steckt das natürlich ohnehin locker weg.

Wiblingen, Erbach, Oberdischingen, Ehingen

Nun fahren wir aus Ulm heraus über die Donau und exakt nach Checkliste zum Kloster Wiblingen, einer ehemaligen Benediktinerabtei, die südlich von Ulm im Dreieck zwischen Iller und Donau liegt. Direkt danach geht es schon wieder über die Donau. Wie geplant überqueren wir in der Folge Donau – Iller – Donau. In Erbach besuchen wir das farbenprächtige gelbe Renaissanceschloss. Dieses wurde zwischen 1550 und 1555 erbaut und ist noch heute in Familienbesitz.
Gleich danach fahren wir die Wallfahrtskirche in Oberdischingen an und steuern von dort aus höchst vizinal weiter bis nach Ehingen. Franz rollt trotz Durchfahrtsverbot voran und wir kommen von der östlichen Seite auf eine große Anlage, aus der nur mächtige Kräne herausschauen, zu. Ich meine über Funk: „Das ist sicher keine Baustelle hier!“ Es ist Liebherr! Wir treffen Max, einen Einheimischen aus Ehingen, der mehr oder weniger sein ganzes Leben bei Liebherr beschäftigt war. Mit ihm ist es sehr spannend und zugleich lustig, von und aus der Region zu hören. Lokalkolorit pur.

Kirchenschätze in Munderkingen und Zwiefalten

Jetzt geht es weiter nach Munderkingen, wir fahren in den Ort hinein und auf einmal ist die Polizei hinter uns. Ich fühle mich sofort ertappt, da ich etwas zu schnell bin, aber das haben sie wohl nicht gesehen. Addi geht fotografieren und erfährt von einem Ortsansässigen, dass es in der Kirche wunderschöne Renaissancebilder gibt. Diese hält er natürlich fest.
In Zwiefalten muss Anika dringend tanken, auch wir haben kaum noch Sprit. Wir besuchen das dortige Münster und die gesamte Klosteranlage. Übrigens: kurz nach unserem Besuch wurde das Münster erstmal aufgrund von Sanierungsarbeiten für einige Zeit geschlossen. Es folgt noch ein letzter Stopp an der bekannten „Zwiefalter Klosterbrauerei“, dann geht es auch schon wieder aus der Stadt heraus.

Wimsener Höhle und Lautertal

Jetzt geht es zurück in Richtung Münsingen. Davor ist allerdings noch die Wimsener Höhle angesagt. Auf ganz kleinen Waldwegen fahren wir diese an, es geht sehr steil und kurvig voran und erinnert
fast an die Alpen. Wir erreichen die einzige mit einem Boot befahrbare Wasserhöhle Deutschlands,
die eigentlich zu Ehren von König Friedrich I., Friedrichshöle genannt wird. Ein Besuch ist aber aufgrund der schon fortgeschrittenen Zeit nicht mehr möglich – sie wird bald geschlossen. Nun fahren wir von dort aus mit unseren inzwischen fast leeren Tanks gen Münsingen weiter. Dabei führt uns die Strecke durch das Lautertal nicht nur entlang zahlreicher Burgruinen, sondern erweist sich ihrem Ruf entsprechend als landschaftlich wunderschön und mithin exemplarisch für die Schwäbische Alb.
In den Wäldern und Wiesen entlang der gut ausgebauten Straße tun sich immer wieder die charakteristischen, schroffen und zum Teil sehr mächtigen Gesteinsfelsen auf. Nebenbei bemerkt gibt es im Lautertal immer wieder etwas Unmut wegen der Lautstärke angeblich zu vieler durchfahrender Motorräder.

Ein wahrer Mittelpunkt

Zurück im Hotel essen wir erst um 21 Uhr zu Abend – es gibt Wurstsalat. Nur für Anika – wer hätte das gedacht – wird es Lamm im Baguette. Die Auswahl ist sehr gut und das Essen schmeckt vorzüglich. Den Tipp im Hotel Gasthof Herrmann zu speisen und logieren geben wir an dieser Stelle gerne weiter. Währenddessen lassen wir die heutige Tour noch einmal Revue passieren. Dabei sind wir uns alle einig, auch und gerade der mittlere Teil der Schwäbischen Alb ist ein äußerst lohnenswertes Ziel. Und dies nicht nur wegen der herrlich kurvenreichen Strecken, sondern insbesondere auch gerade wegen
der zahlreichen touristischen und kulturellen Möglichkeiten sowie der geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten. Bei unserer Motorradtour durch diesen Teil des süd-westdeutschen Mittelgebirges ist für uns ganz klar geworden: Die Schwäbischen Alb ist hier nicht nur Mitte, sondern vielmehr in ein wahrer Mittelpunkt.
Am nächsten Tag, bevor es zurück geht nach Bad Wildbad, hält Franz das gewohnte Briefing und wir prüfen routinemäßig, wie vor jeder Tagestour, unter dem Motto „Safety first“ gewissenhaft unsere Motorräder. Dabei zaubert Franz sein neues Profiltiefen-Messgerät heraus und empfiehlt mir, spätestens nach meiner Rückkehr in Stralsund, einen neuen Satz Reifen zu montieren. Das
ist ein guter und so wichtiger Hinweis, dass ich ihn nicht mal extra notieren muss. Ansonsten ist aber alles in bester Ordnung und die Heimfahrt in den Schwarzwald kann starten.
Dort im „Aparthotel Schwarzwald Panorama“ in Bad Wildbad angekommen, machen wir uns nach einem wohlverdienten Stiefelbier gemeinsam auf den Weg in den Heimatort von Franz nach Enzklösterle. Den Vorteil mit Anika eine gute Fahrerin dabei zu haben und die Motorräder stehen lassen zu können, nutzen wir gerne. Im Gasthof Löwen, in dem man immer wieder Gleichgesinnte antrifft, beenden wir bei einem original Schwarzwälder Zwiebelrostbraten die Tour ganz offiziell. Natürlich ist man dort schon gespannt auf unsere Geschichte von der Alb und wir werden nicht müde unseren Schwarzwälder Landsleuten diese Region ans Herz zu legen.